Kinderherzchirurgie: Das erzählen Mitarbeiter aus dem Alltag

Am Heidelberger Herzzentrum für Kinderherzchirurgie arbeiten Herzchirurg Prof. Tsvetomir Loukanov und Kinderkrankenpflegerin Sarah Kuntz täglich dafür, kleine Herzen wieder in den richtigen Rhythmus zu bringen. Welche Unterschiede es zum Bereich Herzchirurgie für Erwachsene gibt, wie die Arbeit abläuft und welche Sorgen Ärzte und Pfleger umtreiben, das erzählen sie im Interview zu diesem Fachgebiet der Chirurgie

Kind hält rotes Herz aus Stoff.

Ein Interview mit dem Personal der Herzchirurgie Heidelberg

Prof. Tsvetomir Loukanov, Sektionsleiter Kinderherzchirurgie, und Sarah Kuntz, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, haben sich extra Zeit genommen für ein Interview. Sie arbeiten zusammen in der Kinderherzchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg. Herzchirurgie sei an sich ein noch recht junges Fach, erklärt Loukanov. „Der direkte Weg zum Herzen ist zwei bis drei Zentimeter lang, die Medizin hat jedoch 2.500 Jahre gebraucht, um ihn zurückzulegen.“

Inspiriert von Film und Fernsehen, waren beide schon von klein auf von der Medizin fasziniert. Während Sarah Kuntz erst noch mit der Tiermedizin liebäugelte, las Loukanov schon im Schulalter Bücher berühmter Pioniere der Herzchirurgie beispielsweise von Christiaan Barnard oder Nikolai Amossow. Für ihn sei nie in Frage gekommen, etwas anderes zu machen.

Die Heidelberger Herzchirurgie senkte die Sterblichkeit von 25 auf 3 Prozent

„Man sagt immer, dass gerade die Chirurgen große Helden seien. Aber die wirklich großen Helden sind die Eltern, die den oft wochen- oder monatelangen Genesungsprozess ihrer Kinder begleiten.“

In Heidelberg in der Kinderherzchirurgie werden ausschließlich angeborene Herzfehler operiert. „Früher lag die Sterblichkeit bei 20 bis 25 %. Das heißt, dass jedes vierte Kind noch am OP-Tisch starb“, sagt Dr. Loukanov. Man könne sich kaum vorstellen, was das für das Team bedeutet hat. Heute läge die Sterblichkeit unter drei Prozent. Das bedeutet, dass fast 98 % überleben.

Seinen größten Respekt spricht er den Pflegerinnen und Pflegern aus. Sie müssen die kleinen Patienten beruhigen, wenn sie sich selbst verletzen wollen. Und sie müssen sich ständig mit den Eltern auseinandersetzen. Und die seien manchmal nicht einfach.

Mit welchen Reaktionen sind Pflegende im Bereich der Kinderherzchirurgie konfrontiert?

„Es ist nicht nur unsere Aufgabe, uns um das Kind zu kümmern. Wir müssen auch die Eltern auffangen.“

Kuntz erzählt, wie unterschiedlich Eltern gerade in Extremsituationen agierten. Die einen seien eher zurückhaltend und distanzierten sich von ihren Kindern. Sie sehen ihr Kind erst wieder als IHR Kind an, sobald die Überwachungskabel abgebaut sind.

Andere Eltern wiederum seien sehr fordernd, indem sie immer wieder dieselben Fragen stellten: „Wie lange dauert das noch?“ oder „Wird mein Kind überleben?“ Die vielen emotionalen wie auch fachspezifischen Fragen zu beantworten, sei laut Kuntz eine der großen Herausforderungen auf ihrer Station.

Dennoch spricht sie mit viel Verständnis von den Eltern: „Sie sitzen am Bett, sehen wie ihr Kind leidet und können es nicht auf den Arm nehmen.“ Ein Arzt betreue viele Patienten, aber sie als Pflegekraft sei schließlich diejenige, die immer am Bett stehe. Sie ist immer greifbar und die erste Anlaufstelle für die Fragen der Eltern.

Bei der Behandlung von Neugeborenen mit Herzfehlern setzt Dr. Loukanov auf Empathie

Die Kinderherzchirurgie in Heidelberg ist nicht nur überregional bekannt, sondern zieht auch Patienten aus aller Herren Länder an. Doch die Sprache ist für Dr. Loukanov und sein Team nicht die größte Barriere. Für das Aufklärungsgespräch gebe es am Klinikum immer irgendeinen Mitarbeiter, der dolmetschen könne.

Viel wichtiger sei für ihn die Art und Weise, wie das Gespräch vor der Herzoperation geführt werde: „Der Chirurg und die Pflege müssen Empathie ausstrahlen. Sie müssen das Vertrauen gewinnen. Das ist kein kleiner kosmetischer Eingriff, den wir hier vornehmen, sondern es geht oft um das Leben. Nicht alle Menschen können in so einer Situation positiv bleiben. Manche tun sich schwer, Vertrauen aufzubauen. Die Eltern sorgen sich um die Sterblichkeit, ob das Kind ein Pflegefall wird oder was für Einschränkungen es hinnehmen muss“, fasst Dr. Loukanov zusammen.

Wie laufen Operation & Nachsorge in der Kinderherzchirurgie ab?

Vor dem herzchirurgischen Eingriff an einem Baby, müssten vorab alle Behandlungsszenarien durchgesprochen werden. Meist reiche es nicht, einen Plan A zu haben. Man brauche immer auch einen Plan B oder C. Dr. Loukanov lege sich auch nie von vornherein fest, wie lange eine OP dauern wird. Wenn er den Eltern sage, sie dauere vier Stunden, werden sie genau nach vier Stunden nervös. Stattdessen verspreche er, sie anzurufen, sobald er die Handschuhe ausziehe. Dabei ginge es nicht um Details, sondern nur darum, dass das Kind lebe. 

Danach kommt die Verlegung inklusive Einstellen der Medikamente und Übergabe. Das dauere manchmal mehrere Stunden. Ab diesem Zeitpunkt sind die Pflegerinnen und Pfleger von der ITS schon dabei. Sie kommen direkt an den Tisch, um bei der Verlegung mitzuhelfen.

Das passiert, nachdem der herzchirurgische Eingriff an einem Neugeborenen beendet wurde

Wissenswert: Die Fallot'sche Tetralogie, auch Fallot genannt, ist einer der häufigsten Herzfehler bei Neugeborenen. Ca. 6 Prozent leiden an dieser Kombination aus vier Defekten, die eine Vermischung der Blutkreisläufe von Lunge und Herz verursacht. Sauerstoffarmes Blut wird dann in den Körperkreislauf gespült.

Auf eine ausführliche Übergabe legt der Facharzt viel Wert. „Wir haben im OP stundenlang dieses Herz beobachtet, es still gestellt und wieder zum Schlagen gebracht. Diese Infos sind enorm wichtig für die postoperative Phase.“ Seit sich die Herzchirurgie entwickelt hat, haben viele Patienten die Chance auf ein langes Leben. Derzeit betreut Kuntz auf ihrer Station zum Großteil Neugeborene. Aber es kommen mehr und mehr Erwachsene, denn die Nachoperationen können sich bis ins Erwachsenenalter ziehen. „1960 sind alle Fallots gestorben,“ erzählt Dr. Loukanov. „Heute gibt es Patienten mit Fallots, die sechzig Jahre alt sind. Wenn 7.000 Kinder pro Jahr operiert werden, und der Großteil überlebt, ergibt sich in den kommenden Jahrzehnten ein riesiger Patientenpool. Um diesen muss sich jemand kümmern. Diese Patienten können wir weder zum Kardiologen noch zum Kinderarzt schicken. Das werden wir mit unserem neuen Herzzentrum auffangen, das sich im Bau befindet. Es wird alle herzmedizinischen Disziplinen vereinen.“

Ein Kinderherz zu operieren verlangt mehr als nur das richtige Werkzeug

 Wir sind auf Kinder und junge Erwachsene ausgelegt. Unsere Zimmer haben keine Schränke, Tische oder Stühle, weil das die Kinder nicht brauchen. Wenn dann ein Patient kommt, der statt 70 womöglich 120 Kilogramm wiegt, scheitert das schon an der passenden Blutdruckmanschette“, so die Pflegerin.

Auch das OP-Team steht hier vor Herausforderungen. Beim Hautschnitt ist noch alles gleich, aber dann kommt schon ein Knochen, der anders aussieht. „Meine Instrumente funktionieren nicht immer für einen Erwachsenen.“, ergänzt Dr. Loukanov. 

Feingefühl & Sorgfalt bestimmen die Arbeitsweise der Kinderherzchirurgen & Pflegekräfte in Heidelberg

"Wir operieren einen, in ganz dringenden Fällen zwei Patienten am Tag."

Dr. Loukanov freut sich darüber, dass er sich in Heidelberg Zeit nehmen kann für seine Patienten. Anders als in Kliniken beispielsweise in den USA, wo bis zu sechs OPs pro Tag wie am Fließband durchgeführt werden, habe er noch die Zeit, die Patienten kennenzulernen. „Ich muss mich gedanklich vorbereiten, den Namen des Patienten kennen.

"Nachblutungen sind äußerst selten, das ist Ehrensache für uns," betont Loukanov. "Dadurch, dass wir mehr Zeit für die Blutstillung und viele andere Details haben, produzieren wir weniger postoperative Komplikationen. Darüber hinaus bleiben bei uns die Patienten etwas länger auf der Intensivstation. Erst wenn alle Schläuche, die Drainage und temporäre Schrittmacher abgebaut sind, die Mamas ihre Kinder wieder in den Arm nehmen können ohne Angst zu haben, etwas zu verletzten, kommen sie auf Normalstation.“

Für dieses Wiedersehen entwickelt Medela Herzdrainage-Systeme wie Thopaz+, um Blutungen frühzeitig zu erkennen, zu stillen und so die Genesung nachhaltig zu unterstützen.

Nachwuchs ist rar in der Kinderherzchirurgie, denn Anstrengung & Freude halten sich die Waage

Aber auch in der Kinderherzchirurgie Heidelberg spürt das medizinische Personal den Fachkräftemangel - trotz der freundlichen und entspannten Arbeitsatmosphäre. Die Arbeit der Pflege unter anderem im Schichtdienst sieht Loukanov als extrem anstrengend. Darum fordert er dringend mehr Geld, mehr Anerkennung und Wertschätzung für den Beruf.

Was die Medizinstudenten betrifft, so seien viele erst begeistert. „Es klingt heroisch, ein Herz zum Stillstand zu bringen, zu operieren, und danach schlägt es wieder für die nächsten siebzig Jahre. Aber wenn die Studierenden dann merken, was sie alles dafür opfern müssen, halten sie oftmals weniger als ein Jahr durch“, sagt Dr. Loukanov.

Er selbst habe sich während seiner Ausbildung auch oft gefragt, ob er Rückschläge verkraften werde. Damals starben noch viel mehr Kinder als heute. Heutzutage sterben zwar die wenigsten, aber wenn es doch passiert, brauche man einen Schuldigen. Und das sei in der Regel der Chirurg! Die Eltern wollten oft nicht einsehen, wie schwer krank ihr Kind gewesen sei. „Die Verantwortung ist extrem hoch“, so der Arzt. Seine eigene Ausbildung übrigens hat rund 17 Jahre gedauert, bis er das letzte Zertifikat erhielt.

"Wir haben nicht nur das Schicksal von Kobi geändert, sondern auch das seiner Eltern, seiner Geschwister. Das ist etwas Bleibendes. Und daran muss man sich orientieren."

Und dennoch: Dr. Loukanov deutet auf eine Wand in seinem Büro. Sie ist zugepflastert mit Fotos lachender Kinder. Er nimmt eine Karte ab. Ein Junge ist darauf zu sehen. Dessen Vater schrieb: „Kobi ist wie Chuck Norris.“ Dr. Loukanov ist stolz darauf. Er sagt: „Wenn ich daran zurückdenke, wie krank Kobi vor der OP gewesen war, dann haben wir viel geleistet“.

Kinderherzchirurg Dr. Loukanov am Universitätsklinikum Heidelberg

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Literaturhinweise

Batchelor TJP, Rasburn NJ, Abdelnour-Berchtold E, Brunelli A, Cerfolio RJ, Gonzalez M et al. Guidelines for enhanced recovery after lung surgery: recommendations of the Enhanced Recovery After Surgery (ERAS®) Society and the European Society of Thoracic Surgeons (ESTS). Eur J Cardiothorac Surg 2019;55:91–115.